1000 Kilometer am Meer (Teil III)

SWCP2 einfacher RandNach und nach stelle ich fest: Jeder Wanderer liebt andere Abschnitte des britischen South – West Coast Path. Mir gefällt es am besten im äußersten Westen. Der Boden wird hier kaum noch landwirtschaftlich genutzt, Koppeln und Felder verschwinden. Ich wandere zwischen Hochmoor und Meer, auf Pfaden, die vor mir Schmuggler und ihre Gegenspieler, die Küstenwächter, begangen haben. Auf der Karte entdecke ich Ortsnamen wie „Pepper Cove“ oder „Hope Strand“: Namen, die mich daran erinnern, dass die Schmuggelei an dieser zerklüfteten Küste einst eine Art Volkssport war.

Daran konnte auch die schon im 16. Jahrhundert aufgebaute Küstenwache mit ihrer Flotte von Patrouillen – Booten und ihrem dichten Netz von Beobachtungsposten nichts ändern. Schmuggler wie John Carter, der einst den illegalen Nordfrankreichhandel dominierte und die Obrigkeit Jahrzehnte in Atem hielt, werden heute noch als Volkshelden verehrt; genießen einen Status wie Robin Hood im Sherwood Forest.

Hier im Westen prägen Bergbauruinen das Landschaftsbild. 4000 Jahre wurde im Küstengestein nach Kupfer und Zinn gegraben. Direkt neben dem Pfad, auf den nackten Klippen, ragen zerfallene Schornsteine und Überreste von Kesselhäusern aus dem 19. und 20. Jahrhundert auf. Die Dampfmaschinen, die die Energie für den Bergbau erzeugten, wurden mit Holz befeuert: in ihnen verbrannten die Küstenwälder, die es auch in England früher einmal gab.

Einige direkt an der Steilküste gelegene Minen trieben ihre Schächte bis weit unter den Meeresspiegel, und an stürmischen Tagen hörten die Bergleute die Felsen auf dem Meeresboden über ihren Köpfen rumoren. Heute ist keine der Minen mehr in Betrieb, aber das gesamte Gebiet wurde 2006 zum UNESCO Welterbe erklärt. Und zumindest ein Stück Alltagskultur aus der Zeit des Bergbaus begleitet auch mich ab und zu: eine „Cornish Pasty“ genannte, herzhaft gefüllte Teigtasche, die sich als Wegzehrung für Wanderer genauso gut eignet wie als Mittagsmahlzeit unter Tage.

Das noch zur Minenlandschaft gehörende Cape Cornwall galt lange Zeit als westlichster Punkt Großbritanniens. Aus diesem Grund war die Landzunge zu viktorianischen Zeiten ein touristischer Hotspot. Doch dann ergaben genauere Messungen, dass das sieben Kilometer südlich liegende Land´s End noch einen Hauch weiter in den Ozean ragt. Seitdem haben sich die Touristenströme dorthin verlagert: Für die meisten der fünf Millionen Menschen, die Cornwall heute jährlich besuchen, gehört ein Foto von der Klippe einfach dazu.

Für mich ist ein Felsen mit Restaurant und Vergnügungspark darauf nach vielen einsamen Tagen keine Attraktion. Ich kürze über den Parkplatz ab – allerdings ohne die Folgen zu bedenken. Auf diese weisen mich später zwei englische Rentner hin. Sie haben den Coast Path zu ihrem Pensionierungsprojekt gemacht und wandern jeden Freitag ein wweiteres Stück. Wenn sie die gesamten 1014 Kilometer der offiziellen Route geschafft haben, wollen sie bei der den Pfad managenden „South West Coast Path Association“ ein Zertifikat beantragen. Diese Möglichkeit habe ich nun verspielt – zumindest nach ihrer Auffassung von Fairplay.

An meinem letzten Wandertag verhüllt dicker Nebel die Küste. Ich höre das Gleiche wie immer: Wellen, die gegen Felsen donnern, irgendwo unten, irgendwo rechts – aber sehen kann ich so gut wie nichts. Es ist kalt und nass und bald weiß ich nicht mehr, wie weit ich schon bin. Wenn der Pfad sich gabelt, halte ich mich einfach grundsätzlich rechts, getreu der Regel „sea to the right“. Doch irgendwann bleibe ich stehen. Die Brandung dröhnt nun unten rechts und unten links. Ich mache noch einen Schritt. Dann ist da nichts mehr. Rechts nicht, ganz wie gewohnt. Aber links auch nicht. Und ebenso wenig gerade voraus. Ohne es zu merken, muss ich auf ein „Head“ hinaus gewandert sein, auf eine ins Meer ragende Landspitze. Ganz vorsichtig drehe ich um.

Eine Stunde später, am Leuchtturm „The Lizzard“, scheint schon wieder die Sonne. Ich bin an Englands südlichstem Punkt angelangt, meinem diesjährigen Ziel.
Insgesamt habe ich nun 485 Kilometern und 18.000 Höhenmeter auf dem Coast Path zurück gelegt und fast tausend Fotos geschossen. Fast alle zeigen den Blick von Klippen auf Klippen. Bei jedem habe ich gedacht, dass es so wild, so malerisch, so unglaublich schön noch nie gewesen ist. Längst habe ich beschlossen, nächstes Jahr wieder zu kommen. Denn 530 Kilometer auf dem Küstenpfad liegen noch vor mir: 529 von The Lizzard bis Poole – und einer hinterm Parkplatz von Land´s End.

 

 

Praktische Informationen:

Der South West Coast Path ist der längste britische National – Trail. Er wird von der „South West Coast Path“ Association“ gemanagt. Diese Organisation gibt ein jährliches Handbuch mit vielen praktischen Informationen heraus. Darin findet der Wanderer Informationen zu den einzelnen Streckenabschnitten, über eventuell vorhandene Busverbindungen, Fährzeiten, Gezeitentabellen und Adressen von Unterkünften.

Reiseveranstalter wie natours in Deutschland oder Celtic Trails in Großbritannien organisieren auch Wanderungen auf einzelnen Abschnitten des Küstenwanderwegs, zum Teil auch mit Gepäcktransport.

Tagesausflügler können auf vielen Abschnitten auf einer einfacheren und kürzeren Inlandsroute zurück kehren – oder sogar mit dem Bus.

Mehr Informationen
http://www.southwestcoastpath.org.uk/
www.hartlandquayhotel.co.uk/
http://www.natours.de
http://www.celtic-trails.com/celtic/england/

2 Comments

Filed under BESONDERE ORTE, TOUREN, Wandern

2 Responses to 1000 Kilometer am Meer (Teil III)

  1. Jan

    Sehr schön 🙂
    Ich bin begeistert! Und hätte auch Lust, da mal zu wandern.
    Zumindest den einen Kilometer hinterm Parkplatz von Land´s End 🙂
    Jan

    • ChristinaKraetzig

      Lieber Jan,
      es freut mich, dass dir die neuen Texte gefallen.
      Vor dem einen Kilometer bei Land´s End muss ich dich jedoch warnen.
      Denn der Coast Path macht süchtig … man läuft irgendwie einfach immer weiter …

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