Der letzte Stopp vor Amerika

(c)Helmut_Gross__K1817-2[1]Auf der Mole von Bremerhaven steht rotweiß geringelt ein Leuchtturm, dahinter zerren Schiffe an ihren Tauen. die Nordsee leckt einem gierig die Füße, und in Gedanken geht man auf Reisen. Böge man hinter der Wesermündung links ab, führte der Weg durch den englischen Kanal hinüber nach Amerika: ins gelobte Land für Millionen Auswanderer, die ihre gefährliche Reise über den Ozean einst genau hier, an diesen Kais, begannen. Hielte man sich hingegen ganz genau nordwärts,  käme man erst zur Hallig Langeness, dann zur norwegischen Küste und noch ein bisschen später könnte man auf dem Weg zum Nordpol Eisbären sehen.
Um heutzutage auf solche Reisen zu gehen, führt der Weg jedoch landeinwärts, in eines der vielen Museen der Stadt. Hinter einer futuristisch silbernen Fassade verbirgt sich beispielsweise das Klimahaus. Seine Besucher reisen entlang des achten Längengrades, auf dem auch Bremerhaven liegt, rund um die Welt. An acht Stationen erleben sie verschiedene Klimazonen, bibbern und schwitzen. In der Arktis herrschen Minusgrade, im Niger satte 35 Grad. In der Schweiz hat der Klimawandel das Leben in einem Alpental bereits verändert; ebenso auf Samoa, wo sogar ein Riff mit lebenden Korallen zu bewundern ist. Was Klima ist und wie es entsteht, erfährt man wie nebenbei.
Auch die Fahrt nach Amerika muss man nicht mehr selbst antreten, um einen Eindruck von den Lebensbedingungen deutscher Auswanderer zu bekommen. Im Auswanderhaus, wie das Klimahaus an Bremerhavens Wasserfront gelegen, folgt man den Emigranten in die Fremde. Zu den Einzelschicksalen, die hier erzählt werden, gehört beispielsweise die Biographie von Carl Laemmle, der aus Oberschwaben stammte, in Bremerhaven einen Dampfer nach New York bestieg und einige Zeit später im heutigen Hollywood die Universal Studios gegründet hat.
Für Millionen Auswanderer war Bremerhaven der „Letzter Stopp vor New York“. Heute heißt eine Hafenkneipe so. Über ihren dunkel gebeizten Tresen gehen Fisch und Bratkartoffeln in XXL Portionen  –  als würde es nun wochenlang nur noch Schiffszwieback geben. Maritimes Flair kann man  bei einer Bustour durch den Containerhafen schnuppern, in einer Fischräucherei oder auf der Aussichtsplattform des 140 Meter hohen Hotels Sail City. Von hier schaut man über die Museumslandschaft, zu der neben dem Klima- und dem Auswanderhaus noch viele weitere Häuser gehören – darunter-das Deutsche Fischereimuseum, das Phänomenta Science Center oder der Zoo am Meer. In den Überseehäfen wirken Fischtrawler, Containerschiffe und Öltanker wie Spielzeug, im Museumshafen liegen historische Schiffe wie die Bark „Seute Deern“, der größte hölzerne Frachtsegler der Welt.
Noch einmal reisen die Gedanken in die Vergangenheit. Diese Stadt hat viel erlebt: Fischereiboom und Auswanderermassen, Kriegszerstörung und amerikanische Besatzung. Als die Soldaten Anfang der 1990er Jahre abzogen, folgte der Niedergang: Massenarbeitslosigkeit und allgegenwärtige Tristesse. Und dann noch einmal ein erstaunlicher Neustart. Die Geschichte der Stadt wurde in Museen von Weltrang gepackt. Und der Plan ging auf. Heute kommen jährlich  tausende Besucher, um die Geschichte von Deutschlands einziger Großstadt an der Nordseeküste zu erleben – und natürlich, um mitten in der Stadt innerlich auf Reisen zu gehen.

 

 

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